Gletscherschliff - Zeugen der Gletschereisbewegungen zur Weichsel-Eiszeit auf Fehmarn
Geröllpflaster an der Südküste von Staberhuk
Peter Portalla
Böverstworth 4; 24360 Barkelsby
portalla(@)gmx.de
siehe auch: Portalla, Peter; Grube, Alf; Newig, Jürgen(2015): Gletscherschliff auf Findlingen – Ungewöhnliches Geschiebepflaster an der Südküste Fehmarns bei Staberhuk. - Natur- und Landeskunde - Zeitschrift für Schleswig-Holstein, Hamburg, Mecklenburg. 9-10: S. 181-189 (siehe hier)
Aufnahme in die
Geotopliste Schleswig-Holstein
Qp 026 | Weichselkaltzeit: Gekritzte Großgeschiebe Staberhuk / Fehmarn | Erdgeschichtlicher Aufschluss | Fehmarn | ♁54° 24′ 17″ N, 11° 17′ 5″ O |
Bei einem Spaziergang 2010 fielen Portalla an einem Strandabschnitt der Südküste der Ostseeinsel Fehmarn eine ungewöhnliche Anzahl von Geschiebe auf, die oben abgeplattet waren und alle auf der gleichen horizontalen Ebene lagen.
Es stellte sich heraus, dass diese Ansammlung von großen abgeplatteten Findlingen mit einsinniger Ritzungs-Richtung einmalig in Schleswig-Holstein ist und dass es sich um ein Geschiebepflaster handelt. . Bei einer näheren Untersuchung durch Jürgen Newig vom Geographischen Institut der Universität Kiel., Alf Grube vom LLUR (Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume) und Peter Portalla wurden die Lage der Findlinge mittels GPS und die Orientierung der Oberflächen-Kritzungen mittels Kompass eingemessen. Ergänzend führte Grube Geschiebelängsachsenmessungen an länglichen Geschieben im Geschiebemergel am Kliff-Fuß durch. Die Auflagefläche der Findlinge wurde durch Schürfungen und Sondierbohrungen erkundet. Die ca. 200 Geschiebe, darunter viele Großgeschiebe, sind im bisher untersuchten Abschnitt von 120 Metern Länge dem Geschiebepflaster zuzuordnen.Durch die Abrasion der Küste ist hier in den letzten Jahren dieser Gletschersohlenhorizont freigelegt worden.
In der Veröffentlichung „Gletscherschrammen auf Fehmarn (Schleswig-Holstein)“ beschreibt G. Seifert unter anderem eine etwas weiter westlich gelegene Stelle. Auch hier findet man einige Geschiebeblöcke, die pflasterartig liegen. Er bezieht sich dabei wiederum auf eine Veröffentlichung von Curt Gagel von der Preußischen Geologischen Landesanstalt, der 1905 von Steinpflastern im nördlichen Wagrien und auf Fehmarn berichtet. G. Seifert hatte 1951 Fehmarn und das Festland aufgesucht und folgende Verbreitung der geschliffenen Steinpflaster aufgelistet:
Fehmarn:
Am Steilufer bei Marienleuchte nordwestlich und südlich der Ufermauer; (teilweise bereits durch Hochwassergeschehen gekippt und verlagert; zudem eine große Anzahl von verbauten Geschiebeblöcke in der östlichen Hafenmole vom Fährbahnhof Puttgarden, Herkunft bisher unbekannt; Stand Okt. 2011/Portalla)
an den Steilufern nördlich und westlich des Leuchtfeuers am Staberhuk; (viele vereinzelte Gerölle mit Gletscherschliff; Stand Okt. 2011/Portalla)
am Steilufer südlich Staberdorf (in Höhe des Meeresspiegels); (wenige Geschiebe annähernd in situ; Stand Okt. 2011/Portalla)
am Steilufer südlich Wulfen (vereinzelte Gerölle); (noch ungeprüft)
am Steilufer beim Leuchtfeuer Struckkamp Huk (in Höhe des Meeresspiegels); (noch ungeprüft)
Eine weitere durch C. Gagel beschriebene Fundposition bei Katharinenhof konnte von G. Seifert nicht mehr aufgefunden werden. (Südöstlich von Katharinenhof sind mehrere Geschiebe mit Gletscherschliff beieinander auffindbar, jedoch größtenteils ebenfalls gekippt oder verlagert; Stand Okt. 2011/Portalla)
Festland:
Am Steilufer westlich Heiligenhafen (stark aufgelockert);
an den Steilufern der Westseite der Halbinsel Großenbrode (nur vereinzelte Hinweise auf das Vorkommen des Pflasters);
an den Steilufern der Halbinsel Großenbrode.
Interpretation zur Entstehung des Steinpflasters
G. Seifert gibt in seinem Artikel zwei Interpretationen zur Diskussion:
a. Die das Pflaster bildenden Gerölle gehören zur unteren Moräne und sind somit, allerdings dann noch ungeschliffenen, vom vorherigen Gletscher beim Abschmelzen dort abgelagert worden, um dam beim erneuten Gletschervorstoß abgeschliffen zu werden.
b. Die Gerölle sind mit dem letzten Gletschervorstoß vom Gletscher mitgeschleppt und in die untere Moräne hineingepresst worden und dann von demselben Gletscher abgeschliffen worden.
Interpretation zur
Fließrichtung:
1. Die jetzige
Fundsituation dokumentiert die letzten beiden großen Eisvorstöße der
Weichseleiszeit für den norddeutschen Raum, wobei der letzte, bezogen auf den
Bereich Fehmarn, ein Vorstoß in Ost-West Richtung bezeugt.
"Im östlichen Wagrien und auf der Insel Fehmarn liegt auf erodiertem saalezeitlichem Untergrund stellenweise nur eine wenige Meter bis gelegentlich wenige Dezimeter starke "Haut" aus Weichsel-Grundmoräne (H.-J. STEPHAN 1994, 1998). Die Bewegung der Eismassen wurde wahrscheinlich immer vom angetroffenen Relief des vergletscherten Gebietes beeinflusst, besonders stark bei verhältnismäßig geringer Eismächtigkeit, also in den Randzonen und besonders beim Eisabbau in der Endphase einer Vergletscherung. In Schleswig-Holstein gilt das insgesamt für die weichselzeitliche Vergletscherung, die deutlich schwächer als die älteren war. " (H.-J. STEPHAN 2003). Die Gletscher bewegten sich zum Teil entlang der glazialmorphologisch überprägten Ostseesenken nach Nord- und Südwesten, über Fehmarn jedoch ziemlich genau und sehr schnell von Osten nach Westen (Abb. 1) (vgl. RUSSOK, C. 2006).
Geländehöhenbestimmungen mit flugzeuggetragenen Laserscannern, durchgeführt im Auftrag des Landesamt für Vermessung und Geoinformation Schleswig-Holstein, zeigen für den Bereich Fehmarn in eindrucksvoller Weise deutliche Strukturen, die auf die Ost-West-Richtung des letzten Gletschervorstoß zurückzuführen sind. Diese Strukturen sind teilweise auf dem Ostseegrund in Fortsetzung zu finden. Im Moment ist leider keine bildliche Veröffentlichung möglich.
Abbildung aus H.-J: Stephan „Der Jungbaltische Gletschervorstoß in Norddeutschland“
Stratigraphische Einordnung
Der letzte große Eisvorstoß aus dem Ostseeraum nach Schleswig-Holstein wird durch die Wandelwitz-Formation charakterisiert, die sich aus den Ablagerungen eines ersten Gletschervorstoßes (Sehberg-Phase) und nach einer Stagnation und Niedertauphase eines zweiten, weniger weit ausgreifenden Vorstoßes (Warleberg-Phase) zusammensetzt. Untergliedert ist sie durch die Sehberg-Subformation als untenliegendes Till (Till ist das Sediment, welches direkt vom Gletscher an seiner Basis abgelagert wird = Grundmoräne) und die Warleberg-Subformation als obenliegendes Till. Auf einem Großteil von Fehmarn liegen Warleberg- und Sehberg-Till untrennbar aufeinander. Als letzte Kaltphase des Weichsel-Hochglazials lässt sich dieses Ereignis anhand von Bohreiskernen aus dem Grönländischen Inlandeis auf folgendes Zeitfenster bestimmen: Sie sind danach jünger als 17 000 a BP und älter als 15 200 a BP (vgl. STUIVER & GROOTES 2000; d18O-Werte aus grönländischem Eiskern). Entsprechende Werte ergaben TL/OSL-Datierungen (Thermolumineszenzverfahren) von Sedimenten bei Brodten (Lübecker Bucht), die während der Abtauphase des bereits stagnierenden jungbaltischen Eises entstanden, einen Mittelwert von 15.000 a BP (PREUSSER 1999),(vergl. STEPHAN, H.-J.: Wandelwitz-Formation. In LithoLex [Online-Datenbank]. Hannover: BGR. Last updated 28.06.2007. [cited 11.12.2011]. Record No. 1006007. Available from: http://www.bgr.bund.de/litholex)
Bei Stephan et al. (1983) werden den Ablagerungen, die heute die sogenannte Jungmoränenlandschaft Ostholsteins (Liedtke, 1981) bilden, fünf Hauptvorstößen (qw1-qw5) des baltischen Inlandeisschildes zugeordnet.
Diese werden nach den jeweiligen Typuslokalitäten benannt:
1. qw1: Brügge-Vorstoß
2. qw2: Bordesholm-Vorstoß
3. qw3: Blumenthal-Vorstoß
4. qw4: Sehberg-Vorstoß
5. qw5: Fehmarn-Vorstoß
Die von den einzelnen Vorstößen abgelagerten bindigen Materialien sind nach Piotrowski (1994) petrophysikalisch kaum unterscheidbar (vgl. Hajnal Borús Dissertation 1999).
siehe auch: Stratigraphische Tabelle von Deutschland 2002 und Schleswig-Holstein
Die gleichsinnig gekritzten Großgeschiebe von Staberhuk belegen in einmaliger Weise die Überfahrung des Bereiches von Fehmarn durch einen weichselkaltzeitlichen Gletscher. Mit dieser Kritzung ist die Vorstoßrichtung des Eises „in Stein gemeißelt“ und konserviert worden. Im Gegensatz zu den Ablagerungen der Eiszeit, deren Genese dem Laien auf den ersten Blick oft nicht einleuchtet, erzeugen die Gletscherschrammen eine unmittelbare eindrucksvolle Vorstellung von der Kraft des überfahrenden Eises.
Der Bereich ist damit in besonderer Weise didaktisch geeignet, das Wesen und das Wirken der Inlandgletscher zu thematisieren. Exkursionsdidaktisch ist auch hervorzuheben, dass jedes einzelne der Großgeschiebe stellvertretend für die Richtung stehen kann, mit der der Gletscher ganz Fehmarn am Ende der Weichselvereisung überzog. Das Fundgebiet am Strand von Staberhuk (Koordinaten in der Mitte des Strandabschnitts etwa 54°24,280‘ und 11°17,080‘) ist in das Landes-Geotopkataster aufgenommen worden und sollte möglichst in seinem natürlichen Zustand erhalten bleiben. Es bietet alle Voraussetzungen, um zu einem „Mekka“ für alle geologisch Interessierten in unserem Bundesland zu werden (vgl. Portalla, Peter; Grube, Alf; Newig, Jürgen (2015): Gletscherschliff auf Findlingen – Ungewöhnliches Geschiebepflaster an der Südküste Fehmarns bei Staberhuk. - Natur- und Landeskunde - Zeitschrift für Schleswig-Holstein, Hamburg, Mecklenburg. 9-10: S. 181-189).
Fotos der aktuellen Fundsituation (2010/2011):
„Gletscherstraße“ in
westlicher Richtung, die identische horizontale Höhe der Geschiebe ist hier gut
zu erkennen.
Blick von der Kliffkante Richtung Westen
Gletscherstraße in ganzer Ausdehnung
Einzelstein mit
Gletscherschliff und Kantung (Eiskanter)
Kleinstes aufgefundenes Geröll, erstaunlicherweise in
identischer Ausrichtung
Hier ist sehr
schön der
gleichgerichtete Gletscherschliff zu erkennen
Geodaten: +54° 24' 16.68"Nord, +11° 17' 4.95"Ost
Weitere Fotos (2011) nordwestlich von Marienleuchte (siehe Punkt 1 der Aufzählung Gletscherschliffe Fehmarn G. Seifert)
Geschiebe mit Gletscherschliff am Strand nordöstlich von Marienleuchte
Verbaute Geschiebe an der Ostmole Fährbahnhof Puttgarden
EarthCache auf Geocaching.com: https://www.geocaching.com/geocache/GC6RMDY_gekritztes-geschiebepflaster-bei-staberhuk
Verwendete und weiterführende Literatur
GAGEL, C. (1905):
Geologische Notizen von der Insel Fehmarn und aus Wagrien. - Jahrbuch der
Königlich Preußischen Geologischen Landesanstalt und Bergakademie; 26: 254-269.
GRIPP, K. (1973):
Grundmoräne und Geschiebepflaster. - Meyniana; 23: 49-52.
GRIPP , K. (1974):
Untermoräne-Grundmoräne-Grundmoränenlandschaft. - Eiszeitalter u. Gegenwart; 25:
5-9.
LITT, T.; BEHRE, K.-E.; MEYER, K.-D.; STEPHAN,
H.-J.; WANSA, S. (2007): Stratigraphische Begriffe für das Quartär
des norddeutschen Vereisungsgebietes. - E&G - Quaternary Science Journal;
56(1-2): 7-65.
PORTALLA, P.; GRUBE, A.; NEWIG, J.(2015): Gletscherschliff auf Findlingen – Ungewöhnliches Geschiebepflaster an der Südküste Fehmarns bei Staberhuk. - Natur- und Landeskunde - Zeitschrift für Schleswig-Holstein, Hamburg, Mecklenburg. 9-10: S. 181-189. (siehe hier)
PREUSSER, F. (1999):
Lumineszenzdatierung fluviatiler Sedimente; Fallbeispiele aus der Schweiz und
Norddeutschland. - Kölner Forum für Geologie und Paläontologie; 3: 1-62.
Schmidtke, K.-D. (1992): Die Entstehung Schleswig-Holsteins. Neumünster 1992.
SEIFERT, G. (1952):
Gletscherschrammen auf Fehmarn (Schleswig-Holstein). - Naturwissenschaften; Heft
23, S. 551.
SEIFERT , G. (1954):
Erläuterungen zur Geologischen Karte, Insel Fehmarn 1:50000. – Manuskript von G.
Seifert 1969/1971; LANU SH, Geolog. Dienst, 184 S. + Anhang [unveröff.].
SEIFERT , G. (1963):
Geologische Landesaufnahme von Schleswig-Holstein - Insel Fehmarn 1:50000. -
Geolog. Landesamt SH [Hrsg.].
STEPHAN , H.-J.; KABEL, C., & SCh, G.
(1983.)
Stratigraphical problems
in the glacial deposits of Schleswig-Holstein, In: Glacial deposits in
North-West-Europe.
A.A. Balkema, Rotterdam.
STEPHAN , H.-J. (1994): Der
Jungbaltische Gletschervorstoß in Norddeutschland. - Schriften des
Naturwissenschaftlichen Vereins für Schleswig-Holstein; 64: 1-5.
STEPHAN , H.-J. (1998):
Geschiebemergel als stratigraphische Leithorizonte in Schleswig-Holstein; ein
Überblick. - Meyniana; 50: 113-135.
STEPHAN , H.-J. (2003): Zur
Entstehung der eiszeitlichen Landschaft Schleswig-Holsteins. – Schriften des
Naturwissenschaftlichen Vereins für Schleswig-Holstein; 68: 101-118.
STUIVER, M. & GROOTES, P.
M. (2000): GISP2 oxigen
isotope ratios. - Quaternary Research; 53: 277-284.
Text und Fotos: Peter Portalla
Links:
Steffen, H.-J. (1994): Der Jungbaltische Gletschervorstoß in Norddeutschland
Seifert, G. (1952): Gletscherschrammen auf Fehmarn
Darstellung der unterschiedlichen Eisrandlagen
Stratigraphische Tabelle von Deutschland 2002, Deutsche Stratigraphische Kommission (DSK), 2002
Deutschen Stratigraphischen Kommission
Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR)
OneGeology's aim is to create dynamic digital geological map data for the world.
Deutsche Gesellschaft für Geowissenschaften
So entstand Schleswig-Holstein - von Thomas Voß (Dipl.-Geologe), Göta Bürkner (Dipl.-Geologin), Dr. Jörg Geldmacher (Dipl.-Geologe) Auch für Nicht-Geologen geeignet